Lumen Tenebris | Konzept

Der das Licht um sich schlingt wie ein Tuch



Abb.: »Der das Licht um
sich schlingt wie ein Tuch«;
Stephansdom, Wien


Einleitung

Und doch fühle ich dich nicht
»Du höchstes, unzugängliches Licht? Du volle und selige Wahrheit, wie fern bist Du von mir, obwohl ich doch so nahe bei Dir bin! Wie fern bist Du meinen Blicken, wo ich Deinen Augen doch unmittelbar gegenwärtig bin! Du bist überall, und doch sehe ich Dich nicht. In Dir bewege ich mich, und in Dir bin ich, und doch kann ich nicht zu Dir kommen! Du bist in mir und um mich, und doch fühle ich Dich nicht! Mein Gott, ich bete: Ich möchte Dich erkennen, Dich lieben und an Dir mich freuen. Wenn ich es in diesem Leben nicht ganz erreichen kann, so lass mich täglich fortschreiten, bis jenes Ganze kommt. Hier möge deine Erkenntnis in mir wachsen und dort vollendet werden. Hier nehme meine Liebe zu Dir zu, um dort vollkommen zu werden. Hier sei meine Freude groß in der Hoffnung, dort in der Wirklichkeit unbegrenzt.« Gott hüllt sich in Licht wie ein Kleid, den Himmel spannt er wie ein Zelt, er hat alles geschaffen, ist unbeschreiblich, unfassbar und begreiflich. In der Heiligen Schrift offenbart sich in der Theophanie des brennenden Dornbuschs der Gottesnamen: »Ich-bin-der, Ich-bin-da«. Gott ist da, er ist nahe. Gott wendet sich von sich aus seinem Volk zu und ist bei ihm als der »Ich-bin-da«; als der, der sich selbst hinein mischt in die Not seiner Geschöpfe und sie zu seiner eigenen macht.

Aber gerade bei uns, die wir etwas von Gott erhoffen und erwarten: ist da immer das Gefühl, ob Gott mich erhört, mich behütet und schützend Umgibt? Wer und wo ist Gott? Und wie kann ich Ihn erfahren, entdecken, spüren? Immer wieder neu zeigt sich uns: wir verstehen Gott nicht und er ist uns fremd und fern.

In der Zeitschrift »Christ in der Gegenwart« veröffentlichte der Kapuzinerpater und Psychotherapeut Guido Kreppold einen Artikel, in dem er die Situation der Menschen unserer Tage schildert: Menschen, denen es unendlich schwer fällt, einen Zugang zum Gott der Christen und zur Erfahrung des Göttlichen überhaupt zu finden. Er schreibt von der erlebten Gottesferne und von den vielfältigen Versuchen, dieser Realität zu begegnen bzw. von der Versuchung, davor zu resignieren. Pater Kreppold schreibt weiter: »Die Gottesferne, wie sie von vielen Zeitgenossen wahrgenommen wird, ist nicht unüberwindbar. Entscheidend ist, ob das Organ für Gott geschärft wird: die Einstellung zu sich selbst, ob ein Mensch sich selbst wahr- und ernst nimmt. Es zeigt sich dann ein neues Gottesbild – nicht mehr eines, das unser Leben einengt, sondern eins, das unserem Dasein volles Wachstum, volle Blühte, Entfaltung und Reife bringt.« Das Organ für Gott: das ist die Einstellung des Menschen zu sich selbst, ob er sich selbst wahrnimmt und ernst nimmt!

Gerade zeitgenössische Kunst kann für die Sensibilisierung, für die Schärfung des Gottes-Organs, katalytische Funktion übernehmen. In der Auseinadersetzung mit der Kunst, dem Beziehungsgefüge vom Menschen zur Kunst, nimmt der Mensch sich immer, wenn auch unterbewusst, selber wahr und positioniert sich.

Die Installation

Nun stehen Sie am Abend der „Langen Nacht der Kirchen“ am 01.06.2007 an der Schwelle zum Riesentor des Stephansdoms zu Wien und erblicken/erleben einen Kirchenraum, der durch, in den Raum installierte und beleuchtete Stoffbahnen den Blick unweigerlich nach oben zieht, sie hören sanfte Klänge, welche Sie wohlig umarmen und haben das Gefühl, hier fühle ich mich wohl, hier geht es mir gut. Die Schönheit des Raumes, die Schönheit der Farben und die Schönheit der Klänge regen in Ihnen ein anderes Bedürfnis an: Das Bedürfnis, zur Ruhe zu kommen. Sie spüren hier an diesem Ort ist etwas ganz besonderes, hier berühren sich Himmel und Erde, hier bin ich mehr als gut aufgehoben.

Sie sehen nun, dass Sie nicht alleine im Kirchenraum sind, viele Mensche sitzen hier, beten, entspannen sich oder stellen Kerzen am Fuße des Altares auf, auf dem das Allerheiligste aufgestellt ist, das von diesen beleuchtet das strahlende Zentrum der Kirche bildet.

Zwanzig jeweils lichtdurchflutete Stoffbahnen wölben sich von den Seitenschiffen durch die Spitzbögen des Hauptschiffes bis unter das Deckengewölbe. Ästhetik und Geborgenheit sind die zentralen Elemente, die die theologische Aussage: »Der das Licht um sich schlingt wie ein Tuch, den Himmel wie einen Zelt spannt« visualisiert.

Der Psalm 104

Als Grundlage für das theologische Programm des Abends wurde der Psalm 104 ausgewählt. Dieser Psalm durchschreitet die Lebensräume der Welt, beschreibt faszinierend die Vielfalt und Schönheit der Schöpfung und verbindet Aussagen über die Erschaffung und den Erhalt der Schöpfung. »Die ganze Skizze des Weltbilds zielt auf die zentrale Aussage von Vers 27–30 : dass alles, was lebt, sein gemeinsames Leben der gebenden Hand, dem liebevoll zugewandten Angesicht und dem belebenden Atem Gottes verdankt – einem Du, vor und zu dem der Beter begeistert sein Schöpfungslob singt.« Im Psalm 104 wird nicht über die Mühsal des Lebens, wie in Gen 3, 17–19 , geklagt, sondern hier spricht sich im Gegenteil das Staunen darüber aus, was diese Erde an Gutem und Schönem hervorbringen kann, wenn sie unter dem Segen eines gütigen Schöpfergottes steht. Dabei hebt der Dichter hervor: diese Gaben der von Gott gegründeten und versorgten Erde erfreuen das Herz und das Angesicht des Menschen, d.h., sie können ihn stark, glücklich und schön machen. Daraus ergibt sich auch, dass die Erde das vom Schöpfergott gewollte »Lebenshaus« bleibt, dass die unterschiedlichen Lebewesen die ihnen zugewiesenen Lebensräume und Lebenszeiten respektieren müssen. »All dies ist die Erde von JHWH her – vorgängig vor allem Eingreifen des Menschen und unabhängig davon. Das ist ja schöpfungstheologisch Ur-Erlebnis der alttestamentlichen Menschen, über das sie unaufhörlich staunen: Dass das Leben einfach da ist, schier unerschöpflich vorgegeben, freilich auch darauf angewiesen, es immer neu entgegenzunehmen, weil keines der Lebewesen es für sich selbst machen kann.«

Die Welt besteht aber auch aus Störungen und Katastrophen. Die Klagepsalme und das Buch Ijob zeigen überdeutlich, dass Israels Theologie einerseits der Versuchung widerstand, die Welt als Missgriff eines launigen oder zornigen Gottes zu verachten, und dass sie andererseits nie der Illusion erlag, durch menschliches Machertum könne die Welt vollkommen werden. Im Gegenteil: Dieser Psalm erlebt diese Störungen als Zeichen der absoluten Verwiesenheit allen Lebens auf den einen Lebensatem, der JHWH selbst ist und an dem alle teilhaben, die leben. Wenn und wo JHWH seine Lebenskraft ausschickt, macht er Tote wieder lebendig und gibt der Erde immer wieder neue jugendliche Lebensfrische. Dass die alte Erde täglich jung wird, ist die neue Botschaft, mit der der Psalm seine Weltbetrachtung hoffnungsvoll zusammenfasst. Der Mensch, der das Gotteslob zur Gestalt seines Lebens macht, verwirklicht genau das, was der Psalm mit Leben als verdankter Gottesgabe meint.
Daran will der Psalmist sich auch nicht durch die deprimierende Gegenerfahrung des Bösen und Rätselhaften in der Welt, um dessen Verschwinden er bittet, behindern lassen. Im Gegenteil: mit der abschließenden Andachtsformel fordert der Beter sich abermals auf, bei aller Bedrohtheit der Schöpfung auf den Schöpfergott zu blicken und in ihm Freude an der Schöpfung sowie die Kraft zu einem schöpfungsgemäßen Leben zu finden – auch als Antwort auf die beklagte Realität des Bösen. Als lobpreisendes JA zum Schöpfergott ist der Psalm weder blinde noch blenden wollende Zustimmung zu allem, was ist und geschieht.

Indem dieses Lied die Schönheit der Schöpfung, jenseits aller menschlichen Zwecke, besingt, hält es an der Verheißung fest, dass die Schöpfung zum Leben berufen ist. Die Sensibilität für Gottes Gegenwart und sein heilendes Wirken wird geschärft, denn mit dieser neuen Einstellung der Schöpfung und mir selbst gegenüber werde ich mir selbst mehr gegenwärtig. So kann ich den mehr wahrnehmen, der der Gegenwärtige selbst ist. Mit dieser neuen Einstellung werde ich selbst mehr und mehr sagen können: ich bin da, wirklich mit ganzem Herzen und ganzer Seele und ganzem Leib und allen Gedanken da. Und damit bin ich näher bei dem, und kann der näher bei mir sein, der sich nennt: »Ich-bin-da«. Natürlich dürfen wir uns nicht mit Gott verwechseln, unsere Innerlichkeit schon für eine Erfahrung Gottes halten! Aber es geht ja darum, das Organ für Gott zu schärfen, unsere Antenne für sein Wirken, unsere Sensibilität für seine Gegenwart und sein Wirken in der Wirklichkeit von Leid und Elend und Ungerechtigkeit und Schuld. Denn das andere Gottesbild, das Gott nicht mehr am Rande, sondern in der Mitte der Existenz erkennt, das biblisch-christliche Bild von Gott erzählt von dem, der sich in Jesus Christus selbst hinein mischen lässt in Leid, Ungerechtigkeit und Schuld. Der sich so sehr da hinein mischt, dass die Ferne Gottes ihm selbst zu Frage wird, wenn Jesus zutiefst menschlich am Kreuz ausruft: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!«

Diese Installation will den Menschen einen niederschwelligen, unmittelbaren und zeitgemäßen Zugang zu einer Grundaussage unserer christlichen Botschaft bieten: Es gibt einen, der dich liebt, wie du bist: Gott. Bei ihm darfst du ganz du selber sein und auf ihn darfst du hoffen. Vor ihm darfst du dich vergessen, alte Wege verlassen und neu beginnen. Er schenkt dir Räume und Begegnungen, in denen du neue Hoffnung und neue Perspektiven für dein Leben entdecken kannst. Er schenkt dir den wahren Frieden für dein Leben, er führt dich zu neuer Lebendigkeit und zur Fülle deiner Möglichkeiten. (… ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. Joh 10, 10) – Wo wir Menschen das erfahren, da spüren wir: hier berühren sich Himmel und Erde! Die sonst so wortlastige christliche (Gottesdienst-)Tradition lässt sich so auf ein Experiment einer nonverbalen, unmittelbaren Verkündigung mittels der Primärreize ein. Durch die ganz unmittelbaren Reize von Licht und Klang werden die Besucher den Kirchenraum als einen Kristallisationspunkt erleben lassen, in dem sich Himmel und Erde berühren können. Die Sinne der Besucher, die »Fenster ihrer Seele« nach außen, wie es Aristoteles formulierte, werden eingeladen, sich zu öffnen für eines der größten Geheimnisse des Menschseins, der Erfahrung der Verbindung zu einem transzendenten Gegenüber, den wir als Christen als den dreifaltigen Gott bekennen. Die Sehnsucht in den Menschen nach dieser Dimension ihres Lebens wach zuhalten, ihnen neue Hoffnung zu geben und für die Annäherung daran Raum zu geben, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche in unserer Zeit.

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