Lumen Tenebris | Konzept


Zeuge des Lichts in dunkler Nacht



Abb.: Zeuge des Lichts in
dunkler Nacht
Hoher Dom zu Essen

Wer aber war dieser Mann und was ist seine spirituelle Botschaft?


Das Besondere an Nikolaus Groß ist offenbar, dass er nichts Besonderes zu sein scheint. Alles, was er beginnt und zu Ende bringt, ist im Grunde unauffällig. Und bis zum Schluss liebt dieser Mensch tiefen Gefühls und natürlicher Frömmigkeit die leisen Töne, die bescheidene Geste. Doch aus seinem nachdenklichen Gesicht leuchtet auch seine Entschiedenheit - die Kraft uneingeschränkter Hingabe. (1)

Geboren am 30. September 1898, ist Nikolaus Groß Kind einer typischen Arbeiterfamilie des Ruhrgebietes um die Jahrhundertwende. Seine Herkunftsfamilie stammt aus einem kleinen Ort an der Mosel, wo der Vater als Schmied arbeitet, dann aber im Zuge der Industrialisierung in das Ruhrgebiet zieht, um sich in Niederwenigern bei Hattingen niederzulassen. Der Sohn, Nikolaus, beginnt seine eigene Berufstätigkeit 1915 als Schlepper, und arbeitet dann als Kohlenhauer auf der Zeche Aufgottgewagt und Ungewiß.

Sein Wissensdurst und das wache Interesse an politischen und gesellschaftlichen Themen ist jedoch so ausgeprägt, dass er sich durch Schulungen und Selbststudium ständig weiterbildet.
Als Jugendsekretär der christlichen Gewerkschaft organisiert er Streiks, denn in den Zeiten der Inflation geht es den Arbeitern hundeelend und Groß fühlt sich aufgerufen, das Seine zur Verbesserung der sozialen Lage der Betroffenen beizutragen. »Als Gewerkschaftsfunktionär [...] verkörperte Nikolaus Groß die Verbindung von Glauben und sozialem Engagement, die das Milieu kennzeichnete, aus dem er hervorgegangen war.« (2)

Silvester 1920 lernt er Elisabeth Koch aus Niederwenigern kennen, die er am 24. Mai 1923 heiratet. Aus der Ehe gehen sieben Kinder, vier Mädchen und drei Jungen hervor.
Im Januar 1927 wechselt Groß zum Westdeutschen Verband der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB) unter der Leitung von Präses Dr. Otto Müller. Bald bekommt er auch die Schriftleitung der Verbandszeitung Westdeutsche Arbeiterzeitung übertragen und beginnt, sich journalistisch zu Wort zu melden.

Früh erkennt er die Gefahr des Extremismus von links und rechts und setzt alle Hebel in Bewegung, die Arbeiter vor den falschen Propheten zu warnen. Seine klaren und bekennenden Leitartikel bringen ihn nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten dann auch zunehmend in Bedrängnis.

Am 11. November 1938 wird das Erscheinen der WAZ, die sich mittlerweile in Ketteler-Wacht umbenannt hat, nach mehrfachen Androhungen eingestellt. Der Balanceakt von Nikolaus Groß, nicht direkt, sondern zwischen den Zeilen seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus deutlich zu machen, scheitert.
Nach dem Verbot verlegt sich die Verbandsleitung der KAB verstärkt auf die Veröffentlichung von religiösen Kleinschriften, die sich noch stärker als die Ketteler-Wacht mit den christlichen Grundwerten beschäftigt und aktuelle politische Themen vermeidet. 1941 müssen auch diese Veröffentlichungen, von denen ein guter Teil von Groß stammt, eingestellt werden, weil die Papierzuteilung gesperrt wird.

Doch Nikolaus Groß drängt weiter sein christliches Gewissen, den Menschen die Augen zu öffnen und das verbrecherische Regime zu entlarven. »Der Christ darf sich so wenig, wie die Kirche es tut, gleichgültig verhalten gegenüber Zuständen im natürlichen Leben. Gewiß liegt unser letztes Ziel im Jenseits, aber wir haben uns doch im Diesseits als Mensch und Christ zu bewähren. Unser Glaube ist nicht von dieser Welt, aber er soll in diese Welt hineinleuchten, sie beeinflussen und mitgestalten.«, schreibt er in einem Artikel.
Der Fuldaer Bischof Dietz, der sich der KAB-Leitung und den Ideen von Nikolaus Groß und Bernhard Letterhaus gegenüber offen zeigt, richtet mit der KAB-Führung eine männerseelsorgliche Hauptarbeitsstelle ein. Im Rahmen dieses neuen Betätigungsschwerpunktes ist Groß viel unterwegs, um an den verschiedenen Orten Vorträge zu halten. Die häufigen Reisen sind für Groß Tätigkeit im Widerstand wichtig, weil sie ihm die Möglichkeit bieten, Kurierdienste zwischen den verschiedensten Widerstandsgruppen zu leisten. Er ist ein kommunikatives Bindeglied zwischen dem Kreisauer-Kreis mit Pater Delp, dem Kölner-Kreis und den Männern um Karl Goerdeler. In diesen Kreisen diskutiert man über die Grundlagen des neuen Staates nach Hitler und hält den Kontakt mit dem 1934 vor den Nationalsozialisten geflohenen Brüning aufrecht. Seine Einbindung in die Kreise des Widerstand erwächst aus seiner katholischen Glaubensüberzeugung. Für ihn gilt, »dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen«. Und so schreibt er 1943: »Wenn von uns etwas verlangt wird, was gegen Gott oder den Glauben geht, dann dürfen wir nicht nur, sondern müssen den Gehorsam (gegen Menschen) ablehnen.«  (3)

Beim letzten Treffen am 19. Juli 1944, einen Tag vor Stauffenbergs Attentat, macht der Diözesanpräses der Paderborner KAB ihn auf die Gefährlichkeit seines Tuns aufmerksam, nachdem Groß ihm angekündigt hatte: »In den nächsten Tagen wird etwas geschehen, was die Weltgeschichte verändern wird.« Und Groß fügt hinzu: »Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie sollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen?«

Drei Wochen nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler besucht Nikolaus Groß Frau Letterhaus, um sie von der Verhaftung ihres Mannes zu unterrichten. Einen Tag später nimmt ihn die Gestapo selbst in seiner Wohnung in Köln fest. Man bringt ihn ins KZ Ravensbrück, wo ihm die Gestapo unter der Folter wichtige Hinweise erpresst, dann wird er in das Gefängnis nach Berlin-Tegel verlegt. Hier darf er pro Woche einen Brief an seine Familie schreiben, die in großartiger und authentischer Weise von dem Glauben und der Liebe zu seiner Familie zeugen.
Am 15. Januar 1945 wird er vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und nach Plötzensee verlegt. Hier wird er am 23. Januar 1945 durch den Strang hingerichtet.

Das ganze Leben von Nikolaus Groß war von seinem Glauben bestimmt; auch seine berufliche Tätigkeit und sein politisches Engagement verstand er als Konsequenz und Auswirkung seiner christlichen Religiosität und seiner Verbundenheit mit der Kirche. Noch in seinem letzten Lebensjahr verfaßte er, der theologische Laie, eine "Glaubenslehre", die es seinen Zeitgenossen ermöglichen sollte, ihr Leben aus dem Glauben deuten zu lernen.

Seine Briefe aus dem Gefängnis gehören jedoch sicher zu den wichtigsten Dokumenten seiner Spiritualität. Wir dürfen sie lesen als die Zeugnisse eines Mannes, dem sich jetzt in der Haft die Gelegenheit eröffnet, sein Leben neu zu überdenken und das, was ihm zutiefst sinngebend erscheint, schriftlich zu formulieren.

Die Spiritualität des Nikolaus Groß ist gespeist aus drei Quellen: die Solidarität mit den Arbeitern - die unerschütterliche Kraft des Gebetes - die tiefe Liebe zu seiner Frau und seiner Familie.
Der besorgte, sorgende Familienvater, der die Gefahr des Nationalsozialismus wach einkalkuliert, ihr aber trotzdem nicht aus dem Weg geht, der seine berufliche Existenz wegen seiner christlichen und politischen Überzeugung aufs Spiel setzt, der seinen Einsatz für den Glauben und die christliche Soziallehre mit dem Leben bezahlt und damit der Familie im klaren Bewußtsein dessen, was er tut, den Vater entzieht, muss aus Quellen leben, die in ihrer Klarheit stark wie die Liebe oder wie der Tod sind. »Die Liebe ist und bleibt das Größte.« bekennt Nikolaus Groß am 22.10. 1944 seiner Familie in einem Brief aus dem Gefängnis und legt mit diesem Satz den tiefen Grund seiner christlichen Überzeugungen offen. Für diese Überzeugung hat er mit seinem Leben bezahlt.

 (1)  Erich Kock, Beter, Täter, Zeuge - Nikolaus Groß. Paderborn 2001. S.71.
 (2) Wilfried Loth, Nikolaus Groß. Christliche Existenz in totalitärer Zeit. In: Baldur Hermans, Günter Berghaus (Hrsg.), Kreuzungen. Christliche Existenz im Diskurs. Festschrift für Bischof Dr. Hubert Luthe zur Vollendung seines 75. Lebensjahres. Mülheim 2002. S. 354.
 (3)  vgl. Vera Bücker, Bernhard Nadorf, Markus Potthoff (Hrsg.), Nikolaus Groß - Arbeiterführer, Widerstandskämpfer, Glaubenszeuge. Münster 2001 (2. Auflage). S. 241., ebda, S. 25.

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